Triumph der Sehnsucht
Das sind die Wogen der Sehnsucht,
Die fluten mir durch das Herz –
Der Sehnsucht, köstlich berückend,
Wie Knospenbotschaft im März ...
Das sind die Wogen der Sehnsucht,
Die in mir branden und blühn –
Die mich berauschen, wie schwüles
Düften von weißem Jasmin.
Wie im Traume war ich gewandelt,
Von engem Genügen erfüllt –
Vor mir ein kleines, banales
Farbloses Werkeltagsbild ...
Sie nahm so ganz mich gefangen,
Die winzige Werkeltagspflicht –
Zerschmolz mein stolzes Verlangen,
Verhing mein suchend Gesicht ...
Still war es – freudlos und leidlos
Rann Stunde um Stunde dahin –
Und keine war drängende Sehnsucht –
Und keine Empörerin ...
Nun strömen und rollen wieder
Die Schauer der Sehnsucht wild –
Zerbrochen liegt das Bildnis –
Mein Auge ist unverhüllt ...
Ich fühle unendliche Schmerzen
Und Wonnen namenlos –
Ich kreise mit den Gestirnen,
Bin klein und doch riesengroß ...
Bin Staub und doch die Achse –
Ein Punkt und doch alles zugleich ...
Ich verzehre mich in Sehnsucht –
Und bin an Erfüllung so reich! ...
Dieses Gedicht versenden
Max Dauthendey (1867-1918)
Bleibt die Geliebteste zu lang aus
So viele Haare,
So viele Gedanken
Sich sonst um meinen Schädel ranken.
Doch heut nach meiner Gedankenzahl
Bin ich am Schädel ratzekahl.
Die Sehnsucht hat mir ohn’ Gewissen
Das letzte Härlein ausgerissen.
Und wie des Müllers Esel dumm
Trag ich als Sack mein Hirn herum.
Alles, was ich im Leben verstund,
Hält vor der Sehnsucht erschreckt den Mund.
Die Worte fallen wie Balken schwer,
Gedruckte Bücher sind plötzlich leer,
Und bleibt die Geliebteste zu lang aus,
Sitze ich ganz verblödet im Haus.
Alles werd’ ich wieder neu lernen müssen,
Vielleicht sogar lieben und küssen.
Dieses Gedicht versenden
Max Dauthendey (1867-1918)
Die Sehnsucht peitscht
Die Sehnsucht peitscht mit scharfem Dorn,
Sie reitet mich wild
Und gibt mir den Sporn,
Und ob mein Herz streitet,
Sie macht mir die Hände zu Hufen aus Horn
Und rennt mit mir durch die Wände.
Die Sehnsucht, sie ist wie Salz im Meer,
Die Zunge wird mir bitter,
Und Durst klebt schwer
In Gaumen und Brust.
Und wie der Schaum auf Wellen lebt,
So mir die Sehnsucht am Munde schwebt.
Wie Wellen, die sich erdrücken müssen,
Erdrücken sich meine verlassenen Lippen
In Sehnsucht nach deinen Küssen.
Dieses Gedicht versenden
Max Dauthendey (1867-1918)
Sehnsucht gab mir ihr weites Kleid
Sehnsucht gab mir ihr weites Kleid,
Seine Naht ist lang wie die Ewigkeit.
Streicht die Sehnsucht um das Haus,
Trocknen die plaudernden Brunnen aus;
Die Tage kommen wie Tiere daher,
Du rufst ihre Namen, sie atmen nur schwer;
Du suchst dich im Spiegel, der Spiegel ist leer,
Hörst nur der Sehnsucht Schritt,
Du selbst bist nicht mehr.
Dieses Gedicht versenden
Max Dauthendey (1867-1918)
Der Berg Kawi
Dort im östlichen Abendschein, der pfaublau,
Liegt ein gewaltiger Berg, genannt die »liegende Frau«.
Die Frau ruht ausgestreckt, den Kopf seitlich gewandt.
Wenn die Himmelsgrenze abends braunrot verbrennt,
Sagt mein Blut, dass es die »liegende Frau« erkennt,
Die Wangenrundung, die volle Hüfte und Brust,
Die Sehnsucht zeichnet mir dann deutlich der Sehnsucht Lust.
Es ist kein toter Berg, es ist mein atmend Weib,
Dort liegt es und wartet mit ergebenem Leib.
Die in der Sehnsucht warten, wachsen zu Riesen.
Ach, meine Schultern längst an die Sterne stießen.
Dieses Gedicht versenden
Richard Dehmel (1863-1920)
Natur und Sehnsucht
1.
Schlaflos lieg' ich, wie im Fieber
starr' ich in die Schatten hin,
ob mir eben nicht ihr lieber
Augenstrahl erglänzte drin,
ob nicht solche Grüße brächten
auch zwei Seelen sich von fern,
wie in heitren Sommernächten
fällt vom Himmel Stern zu Stern.
2.
Wie der Mond im Wechsel wandelt
ruhlos je und je,
bis das blasse Antlitz wieder
ihm verklärt die See:
muss ich einsam immer schweifen,
schweifen ohne Ruh' -
ach, wann strahlet Frieden wieder
mir dein Auge zu?!
3.
Aus des Abends weißen Wogen
taucht ein Stern;
still von fern
kommt der blasse Mond gezogen.
Fern, ach fern
aus des Morgens grauen Wogen
langt der stille blasse Bogen
nach dem Stern!
4.
An dem Fluss die alte Stelle
hab' ich suchen müssen,
wo die Weiden niederhängen,
um die Flut zu küssen.
Doch es rinnt die kühle Welle
ungerührt von hinnen:
und ich muss bei ihren Klängen,
Liebste, Deiner sinnen!
5.
Stumm und schwer die Blätter hangen,
regungslos die Bäume stehen,
und ich fühl' ein seltsam Bangen
durch die heißen Lüfte wehen,
bis ins heiße Herz mir zittern,
ob ich flüchte, ob ich weile ...
Oh, ich lechze nach Gewittern!
komm, Geliebte! eile! eile!
Dieses Gedicht versenden
Richard Dehmel (1863-1920)
Jünglings Sehnsucht
Möchte von dannen
dies Sehnen bannen!
Weiß nicht, was tun ich will!
weiß nicht, ob ruhn ich will!
Jetzt Alles tragen
und stolz verzagen,
jetzt Alles wagen
und zu ihr jagen!
Ein unstet Rasten
all mein Tun,
ein zaudernd Hasten
mein Wille nun!
Möchte von dannen
dies Sehnen bannen:
ach, aber bin
so glücklich drin! –
Dieses Gedicht versenden
Richard Dehmel (1863-1920)
Mädchens Sehnsucht
Möcht' ein Lied dem Liebsten singen,
dass er tief ins Herz mir sieht;
doch es will mir nicht gelingen,
und mein Sinn ins Weite flieht.
Ob es mir an Tönen fehle?
ob zu Ihm mein Sinn gleich flieht?
Aber meine ganze Seele
ist ein einzig Sehnsuchtslied.
Dieses Gedicht versenden
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)
Locke und Lied
Meine Lieder sandte ich dir,
Meines Herzens strömende Quellen,
Deine Locke sandtest du mir,
Deines Hauptes ringelnde Wellen;
Hauptes Welle und Herzens Flut
Sie zogen einander vorüber,
Haben sie nicht im Kusse geruht?
Schoß nicht ein Leuchten darüber?
Und du klagest: verblichen sei
Die Farbe der wandernden Zeichen;
Scheiden tut weh, mein Liebchen, ei,
Die Scheidenden dürfen erbleichen;
Warst du blass nicht, zitternd und kalt,
Als ich von dir mich gerissen?
Blicke sie an, du Milde, und bald,
Bald werden den Herrn sie nicht missen.
Auch deine Locke hat sich gestreckt,
Verdrossen, gleich schlafendem Kinde,
Doch ich hab' sie mit Küssen geweckt,
Hab' sie gestreichelt so linde,
Ihr geflüstert von unserer Treu',
Sie geschlungen um deine Kränze,
Und nun ringelt sie sich aufs neu,
Wie eine Rebe im Lenze.
Wenig Wochen, dann grünet der Stamm,
Hat Sonnenschein sich ergossen,
Und wir sitzen am rieselnden Damm,
Die Händ' in einander geschlossen,
Schaun in die Welle, und schaun in das Aug'
Uns wieder und wieder und lachen,
Und Bekanntschaft mögen dann auch
Die Lock' und der Liederstrom machen.
Dieses Gedicht versenden
Dschang Dji (etwa 765-830)
Die unendliche Woge
Wie des Meeres Wellen
Auf und nieder wellen:
Also wogt unendlich mein Verlangen,
Dich zu fangen, zu umfangen.
Wie entflieh ich meinem Wahne?
Neige ich mich aus dem Kahne:
Immer seh den einzigen Gedanken
Ich im Meere auf und nieder schwanken.
(aus dem Chinesischen von Klabund)
Dieses Gedicht versenden
Joseph von Eichendorff (1788-1857)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/eichendorff.php
Sehnsucht
Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!
Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.
Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht. -
Hermann Conradi (1862-1890